Ferienerlebnis
17.09.1958

Der Angestellte erklärte mir, die Arbeit wäre wirklich nicht schwer. „Wo ist der Schaber? Sie sollen sehen, wie es gemacht wird.“ Als er das Gesuchte nicht gleich fand, nahm er ein Lineal und schwang es von oben nach unten. Ermunternd schaute er mich an. Wirklich, gerade die richtige Beschäftigung für mich! Er legte das Lineal beiseite, um mich in die Liste als „Entroster“ einzutragen. Ich war Werftarbeiter geworden.

Von meinem Arbeitskameraden Hufnagl wollte ich erzählen. Freilich, nicht nur. Zu ihm gehören auch andere. Seine Kollegen etwa kämen ohne ihn schlecht aus. Er ist nämlich das Ziel ihres Spotts. Auf einen allerdings durfte auch er herabblicken – auf Christoph. Dem jedoch taten Spott und Neckereien nichts an. Kamen sie von Hufnagl, waren sie ohnehin nicht gefährlich.

Er fiel mir bald auf. Er, der Ältere, war es, der für die anderen fortwährend bereit zu sein hatte. Vor Jahren – erfuhr ich später – hatte ihm ein Bauernhof gehört. Ohne sein Verschulden hatte er ihn verloren. Jetzt war er einer von denen, die jeder Bürger einer Werftstadt etwas fürchtet. Und doch sind sie es, die den großen Schiffen den ersten Glanz geben – lange bevor Maler und Innenarchitekten kommen.

Wahrhaftig, Hufnagel sah nicht vertrauenerweckend aus. Klein von Statur, trägt er wie alle eine schmierige, von der Arbeit rotbraune Kombination, auf dem Kopf sitzt eine zerlumpte Mütze, die Füße stecken in Holzschuhen, aus denen die Fußlappen herausschauen. Sein Gesicht ist über und über mit Rost bedeckt, durch den Schweiß sind hellere Streifen hineingezeichnet. Wie soll einer auch gepflegt erscheinen, nach acht Stunden in halbmeterhohen Kammern, in denen Handlampen nur unsicheres Licht geben und die Luft voll staubfeinen Rostes ist?

Später arbeitete ich allein mit Hufnagl zusammen. Er war alt, für das Akkordsystem viel zu alt. Die Jüngeren hüteten sich, mit ihm in eine Gruppe zu kommen. Längst hatte er sich damit abgefunden. Nur hin und wieder kam der Zorn durch auf den Kriecher unter den Arbeitern, der die hohe Norm befürwortet hatte, auf die Kollegen, die keine Kameradschaft kannten. „Äh, das sind ja bald keine Menschen mehr, die Zigeuner, die … Wir können auch noch arbeiten.“ Es konnte auch geschehen, dass er plötzlich innehielt, nur um zu sagen: „Ja, so ist das.“ Oder war dies der Abschluss einer Gedankenreihe? Sich zu sorgen, gab es für ihn genug Anlass. Fünf unversorgte Kinder, und die Hypothek für seine neue Dreizimmerwohnung musste abgezahlt werden. Selbst für den Sonntag versuchte er, Arbeit zu bekommen.

Oft stellte er mir – wie die anderen auch – die Frage nach meinem zukünftigen Studium. Anfangs wich ich den Antworten aus. Schaffe nicht von vornherein Gegensätze! Ja, später habe ich es dann gleichfalls unterlassen.
Es gab mancherlei Situationen, von denen man förmlich gefordert wurde. Wenn sie Christoph, dem Katholiken, über mitspielten ... In solchen Tagen denkt man an Don Camillo. Man ist leider keiner; wie sie immerhin auch keine Peppones sind. Aber das ist eine schlechte Ausflucht.
Nach dem Abitur hat man die vielleicht längsten Ferien seines Lebens. Nichts weiter sollte geschehen sein? Lediglich ein paar dürftige Worte mit einem Alten? Mir schien es mehr. Denn kürzlich kam Hufnagl zu mir. Über dies und das sprachen wir. Als er längst gegangen war, wusste ich plötzlich den Grund seines Besuchs. Die Arbeitsstelle, von der wir gesprochen hatten! Aber selbst mein Bekannter konnte mir keine leichtere mit 380 Mark Lohn nennen.
In solchen Augenblicken denkt man an Don Camillo. Man ist leider keiner, wie Hufnagl immerhin auch kein Peppone ist. Aber das ist eine schlechte Ausflucht.